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Homeschooling: In Rosenheim bleiben viele Schüler auf der Strecke - diese Kinder sind besonders betroffen

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Lesen, Schreiben, Rechnen − durch die Lockdowns haben viele Kinder Schwierigkeiten in der Schule.
Lesen, Schreiben, Rechnen − durch die Lockdowns haben viele Kinder Schwierigkeiten in der Schule. © Schlecker

Viele Schüler sind von den Nachteilen des Homeschoolings betroffen. Rosenheimer Schulleiter, Lehrer und Eltern klagen über zu wenig Personal, um diesem Problem begegnen zu können.

Von Thomas Stöppler

Rosenheim – „Dann dauert der 30-Jährige Krieg halt nur 20 Jahre“, sagt Kai Hunklinger, Rektor der Grund- und Mittelschule Fürstätt, lachend. Damit will er natürlich nicht alternative Fakten über europäische Geschichte verbreiten, sondern erklären, wie er und seine Kollegen auf die Lernrückstände der Schüler reagieren: Die Tiefe bei einigen Themen wird gekürzt, damit in der Breite alles abgedeckt werden kann.

Eltern als Hilfslehrer

Das ist nötig, weil viele Kinder durch Lockdowns und Quarantänen fast ein Jahr lang nicht zur Schule gehen konnten. Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen wird es auch wieder vermehrt zu Unterrichtsausfällen und Distanzunterricht kommen. Kinder hätten aber jetzt schon quasi in allen Bereichen Schwierigkeiten − auch im Sozialen. „Die müssen ihre Rollen in der Gruppe neu finden.“ Kinder hätten enorme Schwierigkeiten 45 Minuten still zu sitzen, auch die Geräuschkulisse sei für viele ein Hindernis.

Aber nicht nur die neuerliche Gewöhnung ans Klassenzimmer ist ein Problem, sondern auch der Distanzunterricht selbst. Zum einen weil das zu Beginn der Pandemie weitgehend Neuland war und zum anderen, weil gerade bei den Jüngeren die Mitarbeit der Eltern vorausgesetzt wird. „Ich habe da vollstes Verständnis, dass das zu Hause nicht klappt“, hält Rektor Hunklinger fest. „Sonst könnten wir die Schule ja auch abschaffen.“

Über Wochen kaum Deutsch gesprochen

In die gleiche Kerbe schlägt Michael Löwe, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands: „Wir Eltern sind quasi als Hilfslehrer in Anspruch genommen worden, dass kann natürlich nicht jeder leisten.“ Besonders Familien, in denen beide Eltern arbeiten, sind betroffen. Außerdem sei schulische Bildung grundsätzlich nicht Sache der Eltern, schließlich gebe es nicht umsonst einen staatlichen Bildungsauftrag.

Dazu kommt auch, dass die Schüler Hunklingers zu fast 80 Prozent einen Migrationshintergrund haben. In vielen Familien wird zu Hause die jeweilige Muttersprache gesprochen. Unter Umständen spricht also ein Erstklässler über Wochen hinweg kaum Deutsch . „Natürlich gibt es da Defizite“, hält Hunklinger fest. „Das ist nicht fair. Wenn jedes Kind sechs Stunden in der Schule sitzt, dann ist das fast Chancengleichheit.“ Diese sei im Distanzunterricht endgültig hinfällig, meint der Pädagoge.

"Das System muss sich anpassen"

Um die ganz praktischen Defizite im Lesen, Schreiben, Rechnen aufzufangen, ist das Mittel der Wahl für Hunklinger eben das Setzen von Schwerpunkten. Klassen zu wiederholen, könne zwar im Einzelfall Sinn machen, aber nicht wenn so viele Kinder betroffen sind: „Das System muss sich anpassen.“ Konkret meint er den Lehrplan.

Etwas, was laut Elternvertreter Löwe, nicht genug genutzt werde: „Die Lehrkräfte setzen das nicht flächendeckend um. Der enorme Druck für die Schüler müsste nicht sein.“ Aber auch Löwe betont, dass die Lehrer und Schulen natürlich chronisch unterbesetzt seien. Auch für das Förderprogramm „gemeinsam.brücken.bauen“ des Kultusministeriums gebe es meist nicht genügend Personal.

Mehr individuelle Betreuungsmöglichkeiten

Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrverbands, sieht sie die gesteigerten Kompetenzen für Lehrer und Rektoren positiv: „Wir müssen denen vertrauen, die seit zwei Jahren jeden Tag vor Ort sind.“ Durch die neuen Quarantäne Regelungen und die individuellen Möglichkeiten, Schwerpunkte zu setzen, hätten die Pädagogen mehr Möglichkeiten Kindern zu helfen. Aber ein grundsätzliches Problem sei das leistungsorientierte Schulsystem, das unnötigen Druck auf Lehrer, Eltern und Schüler ausübe. Daran „zu kratzen, heißt am bayerischen Schulsystem zu kratzen“.

Mehr Vertrauen für Lehrer und Kinder

Auch für Löwe wäre es eine gute Option den Druck zu senken, indem man die Noten zumindest temporär aussetzen könnte. Aber das ganze Schulsystem sei auf Noten ausgerichtet und insofern sei dies für die Lehrer schlecht umsetzbar.

Nur bei einem sind sich alle einig: Ganz unabhängig von Corona brauche es mehr Personal. Dann könnten Lehrer auch wieder individueller auf Kinder und deren Bedürfnisse reagieren. Und Eltern sollten mehr vertrauen, sagen sowohl Simone Fleischmann als auch Michael Löwe, und zwar nicht nur den Lehrern, sondern auch den Fähigkeiten und der Resilienz des eigenen Nachwuchses.

Rektor Kai Hunklinger.
Rektor Kai Hunklinger. © Schlecker

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