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Klimaschutz in Wasserburg: Warum Windkraft und Geothermie wieder auf der Agenda stehen

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Von: Heike Duczek

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Treiben den Klimaschutz voran: (von links) Bürgermeister Michael Kölbl, Klimschutzdialog-Sprecher Günter Bodenburg, sein Stellvertreter Jörg Plottke und Klimaschutzmanager Albert Bernstetter.
Treiben den Klimaschutz voran: (von links) Bürgermeister Michael Kölbl, Klimschutzdialog-Sprecher Günter Bodenburg, sein Stellvertreter Jörg Plottke und Klimaschutzmanager Albert Bernstetter. © Duczek

Vorangehen statt hinterherrennen: So soll der neue Wasserburger Weg beim Klimaschutz aussehen. Sogar Denkverbote darf es nach Meinung der Akteure nicht geben. Warum auch Windkraft und Geothermie Themen sind - sogar in Wasserburg.

Wasserburg - „Was können wir tun?“ Das ist nach Ansicht von Bürgermeister Michael Kölbl nicht mehr die Frage. „Was müssen wir tun?“ heiße es stattdessen beim Klimaschutz. „Schau mer mal, was geht“ - ebenfalls ein Satz, der jetzt, quasi 5 vor 12, nicht mehr zu hören sein sollte, finden der Arbeitskreis Klimaschutzdialog 2030, eine Gruppe aus Experten aus Stadtverwaltung, Stadtwerken und fachkundigen sowie interessierten Bürgern, die den kommunalen Kampf gegen die globale Erwärmung vorantreiben. Im vergangenen Jahr hat sich der Arbeitskreis neu aufgestellt - namentlich, personell, strukturell und inhaltlich.

Neuer Name, neuer Sprecher, neue Strategie

Aus dem Energie- wurde ein Klimaschutzdialog, die Zahl 2030 sagt aus: Bis dahin sollen 65 Prozent der CO2-Immissionen eingespart worden sein. Es gibt eine neue Geschäftsordnung, die die Bemühungen - analog zum Weg des Bundes - nach fünf Sektoren (Verkehr, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft, Energiewirtschaft) ausrichtet. Und einen neuen Klimaschutzmanager, Albert Bernstetter, einen neuen Sprecher, Architekt Günter Bodenburg, seit einem Jahr im Gremium.

Er ist sich mit seinem Stellvertreter Jörg Plottke, Energieberater und schon seit 2008 Mitglied, einig: „Der Klimaschutz hat in Wasserburg Fahrt aufgenommen.“ Das sehen auch Bürgermeister Michael Kölbl und Klimaschutzmanager Bernstetter so. 2023 komme die Stadt ins Tun, sind alle vier überzeugt.

In der Tat weist der neue Haushalt so viele Investitionen in den Klimaschutz und die Energiewende wie noch nie zuvor aus: Allein vier neue Photovoltaikanlagen auf Dächern kommunaler Liegeschaften - auf dem Badria, dem Zentraldepot, dem Schöpfwerk und auf der Pumpstation in Reitmehring sind geplant. Außerdem: ein Nahwärmenetz an der Salzburger Straße, das Bibliothek, Bürgerhaus (VHS) und Belacqua mit Energie aus Hackschnitzeln versorgt wird. Diese kommen - nachhaltiger geht es nicht - aus dem Stadtwald, weil sie hier als Abfälle aus der Waldbewirtschaftung übrigbleiben.

Zwei Anträge gestellt

Der Klimaschutzdialog hat sich außerdem erstmals mit konkreten eigenen Anträgen im Stadtrat eingebracht: Er möchte laut Bodenburg wissen, welche weiteren Dächer in der Stadt sich für Photovoltaik-Anlagen eignen - und warum passende Flächen noch nicht belegt sind. Es sollen Konzepte erstellt werden, die schnelles Reagieren ermöglichen, erläutert der Klimaschutzdialog-Sprecher. Wenn beispielsweise ein städtisches Haus saniert werden muss, sollen die PV-Pläne schon in der Schubladen liegen.

Ein zweiter Antrag ist bereits durch den Stadtrat: Der Klimaschutzdialog forderte, dass bei allen städtischen Liegenschaften, die neu gebaut werden, der höchstmögliche Energiestandard 40 (Passivhaus) realisiert wird. Denn laut Bodenburg ist es nicht nur wichtig, dass die Energie, die ein Gebäude benötigt, aus alternativen, also regenerativen Quellen stammt, sondern auch, dass möglichst wenig Energie benötigt wird. Das Prinzip: dämmen vor heizen, also möglichst wenig Wärme produzieren müssen. Mit diesem Ziel hat sich der Klimaschutzdialog zwar nicht durchsetzen können, aber immerhin: Das Gremium setzte mit seinem Antrag beim Stadtrat durch, dass alle Neubauten in Zukunft CO2-neutral betrieben und gebaut werden müssen.

Kraftwerk für die Altstadt?

Außerdem treibt das Gremium die Datenfindung als Basis für weitere Maßnahmen voran. Dafür ist die Stadt mit European Energy Award (EEA) beigetreten: Fördermittel unterstützen bei diesem Programm die Ist- und Potenzial-Analyse. Die Fakten über die CO2-Belastungen aus den einzelnen Sektoren Industrie, kommunale Einrichtungen, Gewerbe, Handel, Dienstleistung, private Haushalte und Verkehr sollen im Frühjahr auf dem Tisch liegen. Bis Ende 2023 möchten Stadt, Stadtwerke und Klimaschutzdialog wissen, wo wie angesetzt werden kann. Vorreiter: städtische Liegenschaften. Auf der Agenda: weitere Kraftwerke, vor allem eine Wärmeversorgung für die stark gasabhängige Altstadt. Der Bürgermeister schließt auch Regionalwerke zur Energieversorgung nicht aus. Er könne sich durchaus vorstellen, dass sich Wasserburg mit Nachbarkommunen zusammenschließe, wenn es um die Strom- und Wärmeversorgung gehe. Aus dem nördlichen Landkreis gebe es diesbezüglich schon positive Rückmeldungen, sagt Kölbl. Die Stadtwerke Wasserburg beteiligen sich auch an einer Großflächen-PV-Anlage in Eiselfing.

Auch als visionär oder gar utopisch abgetane Ideen sind diskutabel, finden Bodenburg und Plottke. Die Geothermie oder die Windkraft müssten erneut auf den Besprechungstisch. Auch ein Wärmetauscher im Inn, hier gebe es mittlerweile neue Technologien, die die Gefahr, die von den Sedimenten ausgehe, in Griff bekämen. Kölbl findet auch, dass die Untersuchung der Windkraftpotenziale in der Region 18, die die Stadt als Ausschlussgebiet auswies, eine „Katastrophenplanung“ darstelle, die den neuen Erkenntnissen und Regelwerken angepasst werden müsse. Der Regionalplanungsverband sei beauftragt worden, den Plan zu überarbeiten. „Alles gehört wieder auf den Prüfstand“, findet Bernstetter.

Plottke hofft, dass in dieser Situation die Schnellschüsse der politischen Entscheidungsträger ausbleiben. Ein Beispiel: die gestrichene Förderung für energieeffizientes Bauen, die in Wasserburg die Finanzierung des Begegnungszentrums der Adventgemeinde ins Trudeln gebracht hatte. Plottke findet: „Wir brauchen mehr Planungssicherheit“.

Der Energieberater, der in der Stadt im Rahmen des Klimaschutzdialogs auch Sprechstunden anbietet, kennt die Probleme der Bürgerinnen und Bürger: Hauseigentümer stehen unter Druck, weil der Bestandsschutz ihrer alten Ölheizung abzulaufen droht. Die Altstadt ist in der prekären´Lage, dass hier viele Immobilien mit Gas beheizt werden. Wärmepumpen gelten als die Lösung, „das sind aber auch nicht die Heilsbringer“. Jedes Haus benötigt nach seinen Erfahrungen eine ganz individuelle Planung. Das gelte auch für die Stadt und ihre Liegenschaften, sogar für die Region Wasserburg. Ein Rezept nach Schema F gebe es nicht.

Viel Zeit zum Grübeln über den richtigen Weg bleibt jedoch nicht: Bis 2030 sind die CO2-Immissionen um 65 Prozent zu reduzieren. „Das ist das Ziel“, sagt der Bürgermeister - eine Herausforderung auch angesichts der Tatsache, dass drei Viertel des Energiebedarfs in Wasserburg die Industrie benötige.

Die Stadt will konsequent mit gutem Beispiel vorangehen. Auch deshalb nimmt der Klimaschutzmanager jetzt an den wöchentlichen Besprechungen im Rathaus mit den Fraktionen teil. Heuer gibt es außerdem den ersten echten Klimaschutz-Haushalt in Wasserburg.

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