„A Serious Man“: Ein moderner Hiob

In „A Serious Man“ laufen viele Stränge des bisherigen Werkes der Coen-Brüder genial zusammen. Warum sie den Film über einen modernen Hiob nicht verpassen sollten, lesen Sie in der Filmkritik.
Als Juden hätten sie einen großen Vorteil, meint eine Bekannte von Larry Gopnik: Ihre Jahrtausende alte Kultur, diesen reichen Vorrat an Geschichten, die noch immer als Folie zur Verständnis des Hier und Heute dienen können! Larry jedoch kommen Zweifel, wie hilfreich das alles im Suburbia des US-Mittelwestens anno 1967 ist. Prinzipiell ist der alttestamentarische Plot nicht schwer zu erraten, in dem Larry (Michael Stuhlbarg) steckt: Er ist ein moderner Hiob, dessen Story sich nach dem Prinzip entwickelt „Schlimmer geht’s immer“.
Trailer zum Film
Seine Frau will sich scheiden lassen, ein Nachfolger ist auserkoren: Der unerträglich verständnisvolle Sy Ableman, den sie (titelgebend) für einen „ernsthaften Mann“ hält. Larrys Sohn hat Probleme mit einem Kleindiebstahl zur Marihuana-Finanzierung, seine Tochter hasst die spießige Enge daheim. Seinen Bruder Arthur mit der fiesen Zyste wird er einfach nicht als Couch-Untermieter los. Zudem will ein koreanischer Student den College-Professor Larry bestechen, und, und, und.
Es sind kleine Katastrophen, die sich mit erbarmungsloser Komik zu einer unendlich tiefen, aber an der Oberfläche gänzlich stillen Verzweiflung addieren. Und alle Versuche Larrys, darin einen Sinn zu lesen, scheitern kläglich. Er wendet sich an eine Reihe von Rabbis, doch wenn er von denen überhaupt Hilfe bekommt, dann nur in Gestalt hinreißend absurder Gleichnisse. In „A Serious Man“ laufen viele Stränge des bisherigen Werks der Coen-Brüder genial zusammen. Einmal mehr geht es um die „Big Lebowski“-Frage, was einen wahren Mann ausmacht. Einmal mehr nehmen sie sich eins jener Soziotope vor, aus denen in Wahrheit der angebliche Schmelztiegel USA besteht. Mit unglaublicher Genauigkeit in Sprache(n), Kostümen, Ausstattung lassen sie diesmal nicht nur wie in „Fargo“ ihr Minnesota, sondern die gesamte, amerikanisch-jüdische Welt ihrer eigenen Kindheit auferstehen – als eine Karikaturen, die durch leichtes Überzeichnen die Essenz erkennen lässt.
Hatten die Coens sich in „Burn After Reading“ einen Heidenspaß daraus gemacht, willige Hollywoodstars zu erniedrigen, ist „A Serious Man“ nun ein großes Schaulaufen für weithin unbekannte Charakterdarsteller. Und der fröhliche Existenzialismus, mit dem sie selbst die fast buchstabengetreue Verfilmung von Cormac McCarthys biblischem „No Country For Old Man“ unterwanderten, erreicht hier einen neuen Höhepunkt.
Vor allem ist „A Serious Man“ dabei ein nicht minder meisterhaftes Schwesterwerk zum großartigen „The Man Who Wasn’t There“: Ein Film über die Sehnsucht der Vorstädte, über die Demütigungen eines Lebens, indem irgendwann jede Tapetenfarbe eigens dazu geschaffen scheint, einen zu ersticken. Wie einst der Friseur Ed wäre auch Larry Gopnik froh, wenn seine Fährnisse wenigstens einen höheren Plan erkennen ließen. Die Komödie dieser lächerlichen Männer ist die schreckliche Komödie des menschlichen Daseins.
Am enigmatisch-apokalyptischen Ende steht diesmal die Erkenntnis, dass US-Popkultur längst alte Tradition ersetzt, dass Songzeilen von Jefferson Airplane womöglich gleichviel Weisheit enthalten wie Tora-Sätze. Und dass Larry bei all seinen Interpretationsversuchen es versäumt hat, die wichtigste aller Botschaften zu lesen, die in Klartext direkt vor seiner Nase war...
von Thomas Willmann