Oscarverdächtig: Bill Murray in "St. Vincent"

Für seinen Auftritt in der Tragikomödie „St. Vincent“ hat Bill Murray mindestens eine Oscar-Nominierung verdient. An seiner Seite: Melissa McCarthy, diesmal in einer erfrischend anderen Rolle, als gewohnt.
Ständig betrunken, pleite und mies gelaunt – Vincent (Bill Murray) ist kaum der Babysitter, den man sich für die eigenen Kinder wünscht. Trotzdem vertraut seine Nachbarin Maggie (Melissa McCarthy) ihm ihren Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) an. Der alleinerziehenden Mutter bleibt durch ihren Krankenhausjob kaum eine andere Wahl. Gerade erst nach Brooklyn gezogen kennt sie niemanden – bis auf ihren mürrischen und alles andere als liebenswürdigen Nachbarn Vincent. Und obwohl dieser ein ausgesprochener Misanthrop ist, entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen ihm und Oliver.
Diese Geschichte ist natürlich nicht neu: Alter, grantiger Mann freundet

sich mit Außenseiter-Bub an und bringt ihm etwas über das Leben bei. Doch plötzlich steht die sich anbahnende Freundschaft auf der Kippe und ein rührseliges Finale sorgt für Aufschluchzen im Publikum. Dass man das Rad eben nicht immer neu erfinden muss und trotzdem einen besonderen Film schaffen kann, beweist Regisseur Ted Melfi. Für sein Kinodebüt „St. Vincent“, zu dem er auch das Drehbuch schrieb und an dessen Produktion er beteiligt war, holte er sich Schauspieler vor die Kamera, die die Figuren nicht nur verkörpern, sondern urkomisch und einzigartig machen. Melissa McCarthys jüngste Rollen etwa waren überwiegend zum Fremdschämen geeignet, immer wieder gab sie die korpulente, peinliche Frau – ob in „Taffe Mädels“ , „Hangover 3“ oder „Tammy“. Umso erfreulicher, dass ihre Figur Maggie wieder an McCarthys Karriereanfänge bei den „Gilmore Girls“ erinnert: Als liebende Mutter will sie alles richtig machen, tritt gelegentlich in Fettnäpfchen, kommt dabei aber durchweg liebenswert und sympathisch rüber. Auch Jaeden Lieberher kann als kindlich-witziger und cleverer Sohn überzeugen. Naomi Watts in der Rolle einer schwangeren Stripperin sowie Chris O’Dowd als religiöser Lehrer runden das Aufgebot wunderbar ab und sorgen mitunter für die komischsten Momente.
Und Bill Murray, tja, der hat für diese Rolle mindestens eine Oscar-Nominierung verdient. Er verkörpert den anfangs egoistischen, unbarmherzigen und später auftauenden Loser so witzig und authentisch, als hätte er nie eine andere Rolle gespielt. Ein wahrer Horror-Babysitter für alle Eltern, ein wahrer Kinogenuss für jeden Zuschauer.
von Julia Haller