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Tränen und Telefonate: Ukrainer in Deutschland bangen um Angehörige - „Habe eine Wahnsinnsangst“

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Symbolbild: Ukraine-Konflikt - Mariupol
Symbolbild: Ukraine-Konflikt - Mariupol © picture alliance/dpa/Evgeniy Maloletka

Die Ukraine ist nicht weit weg, gerade einmal 1392 Kilometer trennen München von Kiew. Hunderttausenden Menschen hierzulande geht der Krieg besonders nah: Sie haben Angst um ihre Angehörigen und Freunde. Und können kaum etwas für sie tun.

München - Sie hatten es befürchtet, nächtelang schlecht geschlafen - dennoch hofften viele Menschen mit ukrainischem Migrationshintergrund in Deutschland bis zuletzt, dass Putin es nicht zum Äußersten kommen lässt. „Es ist alles schrecklich. Das schlimmste Szenario ist eingetroffen“, sagt Wolodymyr Viitovitch wenige Stunden nach dem Einmarsch der russischen Truppen erschüttert. Der Krieg, der nun am Rande Europas ausgebrochen ist, ist für Hunderttausende Menschen in Deutschland ganz nah - er bedroht unmittelbar ihre Verwandten und Freunde.

Rund 330.000 Menschen mit ukrainischen Wurzeln leben hierzulande. München ist seit Jahrzehnten das Zentrum der ukrainischen Gemeinschaft in Deutschland - die Verbindungen in die alte Heimat sind eng. Entsprechend groß ist die Betroffenheit. Gleich am Donnerstagmorgen glühen die Telefone, in den sozialen Medien posten die Menschen im Minutentakt, was an offiziellen Informationen zu bekommen ist und was sie von Verwandten aus der Ukraine erfahren.

Dekan der ukrainischen griechisch-katholischen Pfarrei in München: „Beten um die Ukraine“

Viitovitch ist Dekan der ukrainischen griechisch-katholischen Pfarrei in München. Bei ihm rufen weinende Menschen an, verzweifelt. In großer Angst um ihre Angehörigen kommen andere zum gemeinsamen Gebet zusammen. Doch er könne wenig mehr an Trost spenden als eine Umarmung, sagt Viitovitch. „Wir bangen um die Ukraine, wir beten um die Ukraine und hoffen, dass möglichst wenige Menschen sterben in diesem schrecklichen Krieg.“

„Wir hatten damit gerechnet, dass das passiert, aber man hat nicht erwartet, dass es zu so einem großen Krieg kommt - dass die Russen uns von allen Seiten angreifen würden“, erzählt Viitovitch. Auch für Roman Szuper ist die jüngste Entwicklung keine Überraschung, sondern eine stringente Konsequenz der russischen Politik. „Aber im 21. Jahrhundert schockiert das doch, dass jemand bereit ist, alle völkerrechtlichen, zivilisierten Normen über den Haufen zu werfen und zu negieren und dem flächenmäßig größten Land Europas und seinem Volk einfach das Existenzrecht abzusprechen“, sagt der Münchner.

„Dass im 21. Jahrhundert sowas noch einmal passieren kann!“

Seine Bekannte Oresia Poletko kann die Zuspitzung des Konfliktes noch gar nicht richtig glauben - auch wenn inzwischen schon seit acht Jahren im Osten der Ukraine gekämpft wird. „Dass im 21. Jahrhundert sowas noch einmal passieren kann!“ Ausgerechnet Russland, das sich jedes Jahr pompös als Befreier der Deutschen vom Nationalsozialismus und als Friedensstifter feiere - „dass die das dann wagen, den kompletten Frieden auf diesem Kontinent völlig auf den Kopf zu stellen, alles zu ändern, da fehlen einem die Worte, man kann es nicht fassen.“

Poletko ist als Tochter ukrainischer Zwangsarbeiter in München geboren worden - einen Großteil ihrer Familie lernte sie erst nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 kennen. „Jetzt habe ich eine Wahnsinnsangst, dass ich sie vielleicht... - ich weiß nicht wann ich sie wiedersehen kann. Das macht mir unheimliche Sorgen.“

Unendlich hilflos: Viele wollen aus Kiew fliehen - aber wie?

Das geht auch den Kindern und Jugendlichen so, die Stephan Demianiw bei Plast, dem Ukrainischen Pfadfinderbund in Deutschland, betreut. „Die haben Angst um ihre Angehörigen, haben Angst davor, dass ihre Angehörigen in den Krieg ziehen müssen, und auch Angst davor, ob ihre Verwandtschaft dort, wo sie lebt, noch in Sicherheit ist.“

Seine eigenen Schwiegereltern sitzen derweil in der Hauptstadt Kiew bereits auf gepackten Koffern. „Die wollen aufs Land raus, aber wenn man die Bilder im ukrainischen TV sieht, dass Ausfallstraßen verstopft sind, dass Tankstellen verstopft sind...“ Seine Worte bleiben in der Luft hängen. Auch per Flugzeug ist kein Entkommen mehr möglich, weil der Luftraum für zivile Flüge gesperrt wurde. Dem 56-Jährigen geht es daher wie ganz vielen Menschen derzeit: Er fühlt sich unendlich hilflos.

Da nützen auch die solidarischen Worte von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wenig: „Ich bin fassungslos über diesen barbarischen Akt des russischen Machthabers Putin, der seine nationalistischen Ziele mit aller Brutalität und ohne Rücksicht auf Menschenleben verfolgt.“ Mit Blick auf Münchens Partnerstadt Kiew kündigt Reiter zivile und humanitäre Unterstützung an, „um das Leid der Menschen vor Ort bestmöglich zu lindern“.

Das politische Statement erinnert stark an die Sätze, mit denen Pfadfinder-Leiter Demianiw das Gespräch beendet: „Viel machen kann man letztendlich nicht. Es ist eher eine moralische Unterstützung als eine faktische.“

Von Elke Richter und Matthias Balk, dpa

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