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Versuchter Brudermord vor Glücksspiellokal? – 33-Jähriger in Salzburg verurteilt

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Von: Michael Hudelist

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Der mittlerweile staatenlose Afghane wurde wegen versuchten Mordes zu 16 Jahren Haft verurteilt. Die Geschworenen glaubten den beiden Hauptbelastungszeugen nicht, die versucht hatten, den Afghanen „zu retten“. © Michael Hudelist

Zu 16 Jahren Haft hat am Donnerstagabend ein Geschworenengericht einen 33-jährigen Afghanen wegen versuchten Mordes, absichtlich schwerer Körperverletzung und gefährlicher Drohung verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Salzburg – Der Mann soll als Security eines illegalen Wettlokals seinen um drei Jahre jüngeren Bruder vor dem Lokal angeschossen haben. Die beiden Hauptbelastungszeugen, das Opfer und ein Freund der beiden Brüder, hatten mit identischen Aussagen zur Anklage geführt. Vor den Geschworenen änderten beide – wiederum identisch – ihre Aussagen und versuchten den Angeklagten zu entlasten, ohne Erfolg. 

Der Angeklagte, ein mittlerweile staatenloser, in Kabul geborener Mann, ist stämmig, erscheint im schwarzen Anzug vor dem Geschworenengericht und spricht gut Deutsch. Im Verhandlungssaal sitzen unter anderem seine Frau und seine zweieinhalb Jahre alte Tochter, die zu Beginn der Verhandlung immer wieder hörbar auf den „Papa“ zeigt. Der Staatsanwalt wirft dem 33-Jährigen unter anderem versuchten Mord vor. Er soll am 12. Juli vergangenen Jahres gegen 21 Uhr „auf offener Straße seinen Bruder versucht haben zu töten“. Das Projektil traf allerdings eine Mauer, prallte von dort ab und traf als Querschläger den Bruder letztendlich in den Bauch.

Das Opfer soll das Projektil selbst entfernt und dem Angeklagten zurückgeworfen haben. Hintergrund soll gewesen sein, dass der jüngere Bruder in dem illegalen Wettlokal viel Geld verloren und danach vor dem Lokal randaliert haben soll. Die Betreiberin des Lokals habe dann den Angeklagten alarmiert, der als eine Art Security auf Abruf für Ruhe sorgen sollte. Dann gibt es zwei Versionen: Der Angeklagte sagt, er habe seinem Bruder eine Pistole abnehmen wollen. Im Gerangel habe sich der Schuss gelöst. Das Opfer und der Zeuge sagten vor der Polizei, dass der Angeklagte mit der Waffe gekommen sei und geschossen habe.

Stunden nach der Tat soll der 33-Jährige auch den Zeugen des Schusses, ein Freund der Brüder, bedroht und verletzt haben. In einem Videoanruf soll er gesagt haben: „Jetzt mache ich dich kaputt“. - „Bei einem Treffen mit dem Zeugen kam es, wie es kommen musste“, so der Staatsanwalt, „den verbalen Drohungen folgten Schläge mit der Faust. Einen mitgeführten Hammer verwendete der Angeklagte zum Glück nicht“.

„Brutale Glücksspielszene“ 

Bernhard Kettl als Verteidiger des Angeklagten versuchte die Geschworenen zu überzeugen, dass sein Mandant keinesfalls seinen Bruder hätte umbringen wollen, um den er sich seit Jahren als großer Bruder kümmere. Der Vorfall sei vor dem Hintergrund der illegalen Glücksspielszene in Salzburg zu sehen, die von drei Damen im Auftrag der Betreiber geführt würden. Diese wiederum hätten Personen an der Hand, die in Notfällen alarmiert und eingreifen könnten. Der Angeklagte sei so eine Security auf Abruf.

Sein Bruder, das spätere Opfer, hätte Tage vor der Tat viel Geld verloren und randalierte vor dem Lokal, weil er einen Teil des verlorenen Geldes zurückhaben wollte. Er habe eine Pistole dabei gehabt, die der Angeklagte ihm aus der Hand gerissen habe. Im folgenden Gerangel habe sich dann der Schuss gelöst. Das Opfer habe den Querschläger erst gar nicht bemerkt. Sein Mandant habe lange Zeit wenig ausgesagt, weil er Angst habe vor der „brutalen Glücksspielszene in Salzburg“.

„Ich schäme mich hier zu sitzen“

Der Angeklagte selbst gestand den unerlaubten Waffenbesitz und die Drohung, nicht aber den versuchten Mord. „Beim Anruf aus dem Lokal hieß es, dass mein Bruder Probleme machen würde“, vor Ort wollte er ihm die Waffe wegnehmen. Dabei habe sich der Schuss gelöst. Er sei dann geflüchtet und habe die Pistole in die Salzach geworfen. „Ich bereue, was passiert ist, es tut mir leid. Es war keine Absicht, es war ein Unfall“, beteuerte der Afghane mehrmals. „Ich schäme mich, dass ich hier sitze und angeklagt bin, weil ich meinen Bruder hätte umbringen wollen. Ich hoffe, dass mein Bruder heute die Wahrheit sagt“. 

„Wie schaut bei Ihnen eine Watsche aus?“

Der zweite Anklagepunkt betrifft eine gefährliche Drohung gegen den Zeugen, einen mit dem Angeklagten und dem Opfer befreundeten Türken, der später in der Verhandlung seine Aussage komplett umdrehen sollte. „Ich habe ihm bei einem Treffen nur eine Watsche gegeben“, so der Angeklagte. Der Zeuge sei erst vor zwei Wochen nach einer schweren Kopfoperation aus der Klinik entlassen worden, „aber ich war einfach sauer auf ihn und wollte nicht, dass mein kleiner Bruder wegen seiner Aussage auch noch Probleme bekommt“.

Wie sich die Rangelei genau abgespielt habe, spielen dann der Angeklagte und der Staatsanwalt – als Opferdarsteller – nach. Dazu bekommt der Afghane auch noch eine Pistole in die Hand, nachdem der Richter doch noch schnell überprüft hat, ob tatsächlich keine Patronen versehentlich im Magazin sind.

Zeuge mit komplett neuer Aussage

Mehr als irritiert waren der Vorsitzende Richter und der Staatsanwalt von der Aussage des Zeugen, dem Opfer der Drohung, ein Türke (45). Er präsentierte vor den Geschworenen eine völlig neue Version des Ablaufs. Vor der Polizei sagte er zweimal aus, dass es der Angeklagte war, der die Waffe aus seiner Hosentasche genommen und dann auf den Bauch des kleinen Bruders geschossen habe. Diese Aussagen waren auch der Grund für die Festnahme und die U-Haft des Angeklagten seit acht Monaten. Vor Gericht präsentierte er eine völlig andere Beobachtung, die sich mit der Aussage des Angeklagten deckt: Der jüngere Bruder habe die Waffe gehabt und der Angeklagte habe sie ihm wegnehmen wollen, dabei habe sich der Schuss gelöst.

„Ihre Aussage heute ist eine völlig andere als bei der Polizei“, so der Vorsitzende Richter zum Zeugen, und die beisitzende Richterin ergänzte, „wegen ihrer Aussage von damals sitzt der Angeklagte seit acht Monaten in Untersuchungshaft, warum haben sie damals falsch ausgesagt?“. Die Antwort des Zeugen: „Weil ich wütend und böse auf ihn war, deshalb habe ich ihn belastet“. Der Staatsanwalt kündigte noch im Prozess an, ein Verfahren wegen Falschaussage gegen den Zeugen einzuleiten. 

Auch Opfer mit neuer Aussage

Auch das Opfer von damals, der jüngere Bruder (30), wollte die Aussage bei der Polizei – die gleiche wie der Zeuge - nicht mehr wiederholen, sondern präsentierte, ebenfalls wie der Zeuge, die neue Version, dass er die Waffe im Hosenbund stecken gehabt und sein Bruder versucht habe, ihm die Pistole wegzunehmen. Dabei habe sich eben der Schuss gelöst. Eigentlich hätte das Opfer als jüngerer Bruder ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen können, weil er gegen seinen Bruder nicht aussagen muss, dann wäre auch seine Aussage bei der Polizei hinfällig gewesen. 

Das Opfer, der jüngere Bruder, berichtete, dass er seit Jahren spielsüchtig sei und an diesem Tag sein verlorenes Geld in diesem Wettlokal „zurückhaben“ wollte. Man habe ihn aber nicht in das Lokal gelassen, daraufhin habe er die Waffe aus dem Auto des Zeugen geholt, die dort schon seit langem unter dem Beifahrersitz deponiert sein soll. 

Erstaunt über die neue Version, die 1:1 der Version des Zeugen gleicht, waren nicht nur die drei Berufsrichter. „Sie kommen seit 13. Juli nicht auf die Idee, ihre Aussage zu korrigieren und lassen ihren Bruder in Haft, der dort auch die Geburt seines zweiten Kindes verpasst?“, so eine Richterin. Er habe nicht gewusst, so der jüngere Bruder, dass man eine Aussage ändern kann, er habe das vor Gericht richtigstellen wollen. Dass die Verhandlung erst Monate nach der Tat ist, habe er nicht gewusst.

Nach stundenlangen Beratungen fiel am Abend das Urteil. Die acht Geschworenen befanden den Angeklagten des versuchten Mordes für schuldig. Gemeinsam mit den drei Berufsrichtern wurde dann die Strafe auf 16 Jahre Haft festgesetzt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

hud

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