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Öl-Embargo rückt näher: Können wir uns das leisten oder endet es in einer „Vollkatastrophe“?

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Von: Markus Zwigl

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Deutschland wird immer unabhängiger von Gas, Öl und Kohle aus Russland. Deshalb spricht sich Berlin inzwischen auch für ein Öl-Embargo gegen den Aggressor aus.
Deutschland wird immer unabhängiger von Gas, Öl und Kohle aus Russland. Deshalb spricht sich Berlin inzwischen auch für ein Öl-Embargo gegen den Aggressor aus. © dpa Montage

Ein Importstopp von russischem Öl rückt offenbar immer näher: Man sei jetzt „vorbereitet“, auch mehrere Jahre ohne russisches Öl auszukommen, sagte die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Wochenende und bekräftigte, dass Deutschland ein Öl-Embargo gegen Russland befürwortet. Doch ist dem wirklich so? Sind die Folgen eines EU-weitem Importverbotes verkraftbar? Die blanken Zahlen lassen anderes vermuten.

Deutschland - Der Anteil russischen Öls am deutschen Ölverbrauch ist seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine binnen weniger Wochen von 35 auf 12 Prozent gesunken. Das geht aus dem neuen Fortschrittsbericht Energiesicherheit der Bundesregierung hervor. Mit einem deutschen Ja zu einem Öl-Embargo wächst der Druck auf die verbliebenen EU-Mitgliedsländer, die in der Diskussion zuletzt noch als Bremser galten. Laut einem Bericht des ZDF haben Länder wie Österreich, Ungarn und die Slowakei ihr Veto zurückgezogen. Alles hängt wohl nun an Deutschland als Vorreiter, wenngleich noch nicht alle EU-Staaten zu diesem Schritt bereit scheinen.

Die Energieminister der EU-Staaten beraten an diesem Montag bei einem Sondertreffen unter anderem über Russlands Stopp von Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien.  „Wir werben auch innerhalb der EU dafür, jetzt im sechsten Sanktionspakt der EU den Ölausstieg als Europa gemeinsam zu gehen“, zeigte sich Baerbock vor dem Treffen mutig.

Die Bundesregierung hat inzwischen angekündigt, sich bis Mitte 2024 von russischem Erdgas zu lösen. Einer Studie zufolge könne Deutschland sogar noch in diesem Jahr ohne russische Erdgaslieferungen auskommen. „Wenn die Energie-Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert“, lautet das Fazit der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). 

Aiwanger befürchtet „Desaster“ - Habeck hält Öl-Embargo für machbar

Ein mögliches Embargo für russisches Gas hatte unter anderem Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) kritisiert. Sollte Russland seine Lieferungen einstellen, bevor Deutschland sich entsprechend darauf vorbereiten könne, sei das ein „Desaster“, so Aiwanger. Mittlerweile hält aber auch Grünen-Politiker Robert Habeck ein Öl-Embargo gegen Moskau wegen des Angriffs auf die Ukraine für machbar.

„Deutschland ist dabei, seine Energieabhängigkeit von Russland in hohem Tempo zu verringern und die Energieversorgung auf eine breitere Basis zu stellen.“ Die Abhängigkeit von russischem Öl ist demnach von etwa 35 Prozent im vergangenen Jahr auf 12 Prozent gesunken, die Abhängigkeit von russischem Gas von 55 Prozent auf etwa 35 Prozent. Bei Kohle sei durch Vertragsumstellungen die Abhängigkeit seit Jahresbeginn von 50 Prozent auf rund 8 Prozent gesunken.

Russland exportiert zwei Drittel seines Öls in die EU

Doch bleibt mindestens eine hohe Hürde: der Betrieb der wichtigen Raffinerie in Schwedt, die große Teile Ostdeutschlands versorgt und offenbar ausschließlich russischen Öl bezieht.

Russland exportiert rund zwei Drittel seines Öls in die EU. Befürworter eines Embargos argumentieren, dass Russland durch einen solchen Schritt eine wichtige Einnahmequelle abhanden käme, die es zur Finanzierung seines Kriegs in der Ukraine benötigt.

Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Wird die EU ein Öl-Embargo gegen Russland beschließen?

Es sieht sehr danach aus. Nach den Gräueltaten in ukrainischen Orten wie Butscha ist der Druck auf kritische Mitgliedstaaten gewachsen. Selbst die lange zurückhaltende Bundesregierung unterstützt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel nun Planungen für ein Einfuhrverbot für russisches Öl. Als Bremser galten zuletzt noch Ungarn, Österreich und die Slowakei, die selbst sehr abhängig von russischem Öl sind, sowie Spanien, Italien und Griechenland, die einen weiteren Anstieg der Energiepreise fürchten.

Wann könnte das Öl-Embargo kommen?

Die EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen will nach dpa-Informationen baldmöglichst den Entwurf für ein neues Paket mit Russland-Sanktionen präsentieren. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass ein Öl-Embargo dazu gehört. Offen sind mögliche Übergangsfristen. Da noch so viele Staaten Bedenken haben, könnte der Vorschlag lauten, die Einfuhr russischen Öls noch bis Herbst oder sogar bis in den Winter zuzulassen. Als denkbare Alternative zum Importverbot gelten Preisobergrenzen der EU für Öl aus Russland, um dessen Einkünfte zu kappen. Nach Schätzung der Denkfabrik Bruegel wurde in die EU zuletzt täglich russisches Öl im Wert von etwa 450 Millionen Euro importiert.

Wie abhängig ist Deutschland noch von russischem Öl?

Von den deutschen Öl-Importen aus Russland - 2021 nach Habecks Angaben wie gesagt 35 Prozent des Verbrauchs - kamen bisher etwa ein Drittel per Schiff nach Westdeutschland und zwei Drittel über die Druschba-Pipeline in die Raffinerien in Leuna in Sachsen-Anhalt und Schwedt in Brandenburg. Die Bezieher im Westen hätten neue Lieferanten gesucht, sagt Habeck. Auch der Leuna-Betreiber Totalenergies will russisches Öl bis zum Jahresende ersetzen - nötigenfalls auch schneller, wie der Minister in einer Videobotschaft darlegt: „Das Problem ist also auch gelöst.“ Der verbliebene Anteil russischen Öls von zwölf Prozent entfalle auf Schwedt. „Das letzte Drittel ist das eigentliche Problem“, sagt Habeck.

Warum sucht sich Schwedt keine neuen Lieferanten?

Die PCK-Raffinerie wird betrieben vom russischen Staatskonzern Rosneft. „Und die haben natürlich gar keine Interessen daran, dass sie nicht russisches Öl raffinieren“, sagt Habeck. „Wenn ich da anrufe und sage: „Hallo, was wollt ihr eigentlich tun, um unabhängig von russischem Öl zu werden?“, dann nehmen die den Hörer gar nicht ab.“ Die Bundesregierung erwägt deshalb als letztes Mittel eine Enteignung. Grundlage soll eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes sein, die bis Mitte Mai beschlossen sein könnte. Habeck scheint davon auszugehen, dass die Hürde Rosneft relativ schnell zu nehmen ist: „Die Beendigung der Abhängigkeit von russischen Rohölimporten zum Spätsommer ist realistisch.“

Wie würden Leuna und Schwedt dann künftig beliefert?

„Aus technischer Sicht wäre eine alternative Versorgung der Schwedt Raffinerie über den Hafen Rostock und Danzig möglich“, heißt es im Energiesicherheitsbericht. Eine Pipeline für Tankeröl aus Rostock könnte könnte 60 Prozent des Bedarfs in Schwedt decken, mit einer Erweiterung möglicherweise bis zu 90 Prozent, schreibt auch der Energieexperte Steffen Bukold in einer Studie für Greenpeace. Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) sieht tatsächlich Möglichkeiten, mehr Öl von Rostock nach Schwedt zu leiten. Es seien jedoch viele Detailfragen zu klären.

Hinzukommen müssten für Schwedt Lieferungen aus dem Hafen Danzig über die sogenannte Plock-Pipeline, wie der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf sagt. Dies ist auch ein neuer Bezugsweg für Leuna. Klar ist für Südekum aber: „Ersatz für das russische Öl gibt es nur zu höheren Preisen.“

Müssen Verbraucher noch tiefer in die Tasche greifen?

Voraussichtlich ja. Russisches Rohöl ist Südekum zufolge mangels Nachfrage seit Kriegsbeginn deutlich billiger als Öl aus anderen Quellen, das nun viele haben wollen. Da vor allem Ostdeutschland bisher am russischen Öl hängt, müssen dort große Mengen zu höheren Preisen ersetzt werden. Das dürfte Verbraucher der Region treffen. In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fahren bisher neun von zehn Autos mit Kraftstoff aus Schwedt. Leuna beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.

Zwei weitere Kostenfaktoren drohen: Die Anlagen in Leuna und Schwedt müssen womöglich neu eingestellt werden, wenn statt sibirischen Öls andere Sorten kommen. Und vielleicht müssen Raffinerien im Westen zur Versorgung Ostdeutschlands beitragen, wie Bukold in der Greenpeace-Studie schreibt. Das hieße Transporte von Sprit oder Heizöl mit Lastern oder Zügen - es hieße Aufwand und Kosten.

Sind Jobs in Gefahr?

Vor allem in Schwedt ist die Verunsicherung groß. 1200 Menschen sind direkt im Werk beschäftigt, zudem Hunderte Mitarbeiter bei Zulieferern und Dienstleistern auf dem Gelände. Auch sie habe im Moment mehr Fragen als Antworten, sagt Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (parteilos). In einem Brief mahnte sie Habeck zur Umsicht. „Vom Bundeswirtschaftsministerium fühlen wir uns derzeit zu wenig mitgenommen“, kritisiert Hoppe.

Neben der Enteignungsfrage hängt viel davon ab, ob aus neuen Quellen genug Öl zur Auslastung der Raffinerie käme. Südekum hält es für denkbar, dass eine Differenz bleibt. Ähnliche Bedenken gibt es in Leuna. So sagte Christof Günther - Geschäftsführer der Infraleuna, die die Infrastruktur in Leuna betreibt - im März, ein 100-prozentiger Ersatz werde nicht möglich sein. Zulieferer könnten leiden. Am Chemiestandort Leuna arbeiten rund 100 Firmen mit 12 000 Beschäftigten.

Kann Deutschland ein Öl-Embargo gegen Russland verkraften?

Ein abrupter Öl-Importstopp könnte nach Einschätzung von Ökonomen die Preise auf dem Weltmarkt vorübergehend drastisch antreiben und die Konjunktur in Deutschland bremsen. Übergangsfristen würden den Effekt eines Embargos wohl mildern. Habeck sagt es so: „Es würde sicherlich zu regionalen Engpässen führen, es würde sicherlich zu höheren Preisen führen, es würde möglicherweise auch zu lokalen Unterbrechungen kommen. Man kann also nicht sagen, niemand merkt es. Aber es würde nicht mehr zu einer Vollkatastrophe führen.“

mz

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